Was ist das häufigste Problem, mit dem Sie sich in den Seminaren beschäftigen?
Sr. Ruth: Alter und Zukunft sind die dominierenden Themen. Das können Schwierigkeiten wirtschaftlicher Art sein wie Altersversorgung oder Erhaltung allzu großer Liegenschaften. Aber natürlich auch menschliche Probleme in vielerlei Gestalt. Die Zahl der Ordensmitglieder nimmt ab, das macht vieles schwerer, manches sogar ab einem bestimmten Punkt unmöglich. Dennoch: Ordensleute wird es immer geben. Davon sind wir fest überzeugt. Da werden immer Frauen und Männer sein, die ihr Leben der besonderen Nachfolge Jesu widmen wollen. Aber vieles wird sich deutlich ändern. Wie das Neue aussieht, ist oft noch nicht klar.
Besuchen Sie die Menschen auch vor Ort?
Sr. Ruth: Oft ergibt sich aus den Gesprächen in unserer Bildungsstätte in Wien ein Folgeauftrag vor Ort. Ich werde eingeladen und besuche die Gemeinschaften in ihrem Zuhause. Dort erscheine ich nicht mit einem fertigen Konzept oder vermittle meine Lehrinhalte. Vielmehr möchte ich zunächst herausfinden, wo die Menschen überhaupt stehen. Manchmal stoße ich auf negative Vorerfahrungen mit Beratung von außen und daraus folgende Reserviertheit. Damit muss ich umgehen können und Vorurteile abbauen. Es ist schon vorgekommen, dass ich beim Erstkontakt mit einer Gruppe von älteren Ordensschwestern nur Kaffee trank, damit sie mich sehen und kennenlernen konnten. Die eigentlichen Inhalte kamen erst viel später, als sie Vertrauen gefasst hatten.
Was können das für Inhalte sein?
Sr. Ruth: Da geht es zum Beispiel um Priorisierungen. Die Alten brauchen Pflege, aber die Jüngeren fragen sich, ob es tatsächlich ihre Aufgabe im Leben ist, fortan nur noch ihre Schwestern bzw. Brüder zu pflegen oder ob sie nicht noch anderes machen sollten. Dabei geht es nicht um Selbstverwirklichung, wohl aber um Sichtbarkeit und Mitgestaltung. Welchen Auftrag haben die Ordensleute heute in der Welt? Wie können sie pastoral tätig sein, zum Beispiel indem sie Bibelrunden leiten oder Altenarbeit in einem größeren Rahmen tätigen.
Manchen Gemeinschaften fragen sich existentiell, ob sie in ihrem Kloster bleiben können. Was hieße es dazubleiben? Was bedeutete es wegzugehen? Wohin ist weg? Kann die Gemeinschaft zusammenbleiben oder muss sie sich trennen?
Wir suchen und finden Varianten und Möglichkeiten und wägen dann mit den Betroffenen ab. Das ist in der Regel ein Prozess, der seine Zeit braucht. In einem Fall haben wir nach den ersten Gesprächen ein dreiviertel Jahr Pause gemacht. In dieser Zeit haben die Gemeinschaftsmitglieder sich verschiedene Beispiele anderer Ordensgemeinschaften angesehen, um belastbare Eindrücke zu bekommen und darauf eine Entscheidung für die eigene Gruppe zu treffen.
Vornehmlich geht es um Folgen der Überalterung. Spielen die jüngeren Ordensleute auch eine Rolle in Ihrer Arbeit?
Sr. Ruth: Für uns liegt der Fokus nicht nur auf den älteren Mitgliedern, sondern auch auf den jüngsten. Immer wieder bekomme ich den Auftrag: "Machen Sie etwas mit unseren Jüngeren!" Es kann nämlich für junge Menschen in alten Gemeinschaften schwierig werden, wenn sie nicht genügend Räume haben, um jung zu sein. Sie müssen sich austauschen können über ihre Sichtweisen und Interessen – auch mit Gleichaltrigen. Ihre Themen, Wünsche und Ziele sind wichtig. Letzten Sommer gab es deshalb zum Beispiel eine vierzehntägige Bibelwerkstatt für junge Ordensleute. Zeit miteinander zu verbringen, sich kennenzulernen und einfach jung zu sein, war dabei wahrscheinlich das Wichtigste. Daraus entstand ein Netzwerk, das den jungen Menschen eine Stütze für ihr Ordensleben sein kann.
Sind Ordensgemeinschaften mit Unternehmen der freien Wirtschaft vergleichbar?
Sr. Ruth: Ja und nein. Orden sind nicht nur Betriebe. Die Ordensleute verstehen sich als Gefährtinnen und Gefährten, manchmal sogar als Familie. So sind die Gemeinschaften am ehesten mit Familienbetrieben vergleichbar. Wie in einem Familienbetrieb müssen die Orden immer mit den Menschen arbeiten, die zu ihnen gehören. Die Mitglieder bleiben sehr lange – auf Lebenszeit – und sind nicht austauschbar. Natürlich wechseln die Aufgaben oder können neu verteilt werden. Oder man stellt Menschen von außen ein. Aber die Leute der Gemeinschaft bleiben, und mit ihnen ist zu arbeiten und zu leben. Deshalb sind auch mit diesen die Entscheidungen zu fällen.
Als Beraterin kann ich das nicht für sie tun, auch wenn ich mir natürlich manchmal denke, dies und das schließt sich von selbst aus. Aber das ist für die Menschen vor Ort nicht immer sofort klar. Das sind schwierige Denkprozesse, mit Ängsten und anderen Emotionen behaftet. Insofern hat meine Arbeit auch einen großen seelsorglichen Teil.
Sie verbinden in Ihrer Begleitung also das Menschliche mit dem Ökonomischen?
Sr. Ruth: Ja, das ist richtig. Von Betriebswirtschaft habe ich zwar wenig Ahnung. Aber wir helfen den Ordensgemeinschaften auch, die richtigen Leute für ihre Probleme zu finden. Unsere Form der Begleitung ist nach meiner Kenntnis im deutschen Sprachraum einzigartig. Natürlich gibt es auch andernorts einzelne Personen, die Beratung auf Anfrage anbieten. Doch in der institutionalisierten Form des Kardinal König Hauses gibt es das nicht noch einmal. Meine Erfahrung ist, dass es einen großen Bedarf nach genau dieser Form von Begleitung gibt, die das Ganze betrachtet, mögliche Wege aufzeigen kann und dabei immer empathisch und menschlich vorgeht. Diesen ganzheitlichen Ansatz haben die Menschen verdient.